Werkbeschreibung
Biographisches
Ursula Fehr ist 1940 in Winterthur geboren. Aufgewachsen ist sie im Thurgau, wo sie auch alle Schulen bis zur Matura durchläuft und heute noch wohnt und arbeitet. 1959 – 1963 studiert sie an der Académie des Beaux-Arts, Genève. 1963 Diplôme de sculpture, Praktikum bei Steinbildhauermeister Emil Hotz, Frauenfeld. Ab 1963 Kleinpensen Als Zeichen- und Werklehrerin an verschiedenen Kantonsschulen. Studienreisen nach Polen, Griechenland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Tunesien, Portugal, Spanien, Aegypten, Italien, Frankreich. Seit 1970 eigenes Atelier.
Material und Technik
Ein zentraler Arbeitsbereich ist für Ursula Fehr Kunst am Bau. Seit 1967 hat sie zahlreiche Aufträge und Wettbewerbsarbeiten ausgeführt, von der Platzgestaltung über Brunnen bis zur Gross-Skulptur. Für diese Arbeiten verwendet sie neben Bronze und Stein, je nach Ortsbezug, Eignung und Thema auch diverse andere Materialien, wie Beton, farbigen Asphalt, Holz und Kunststoffe.
Künstlerische Aussage
In der antiken griechischen Sage ist die uralte Sehnsucht des Menschen, fliegen zu könne, zugleich aber auch das Wagnis und die Warnung vor dem frevelhaften Übermut so sinnfällig ausgedrückt, dass der tragische Flug von Ikarus, der sich damit aus seinem Gefängnis in Kreta zu befreien suchte, häufig in der Kunst dramatische und symbolhafte Darstellung als Allegorie auf die Laster Hochmut, Selbstbetrug, Unbescheidenheit und Unmässigkeit gefunden hat. In der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts hingegen findet Ikarus als Sagengestalt kaum noch Beachtung. um so ungewöhnlicher mutet Ursula Fehrs künstlerisches Leitthema an. Anders als in der christlichen Kunst vergangener Jahrhunderte zeigt die Thurgauerin in ihren phantastischen Ikariden nicht den verhängnisvollen Sturz und das Scheitern, sondern die beginnende Loslösung, das Aufschwingen gen Himmel. Doch letztlich bleibt jedes Abheben nur ein Versuch. In einer Metamorphose entwickelt sich Ikarus' Körper zu einem nackten knorrigen Baumstamm, dessen Wurzeln breit in die Erde ausgreifen. Das Erdverbundene demonstrieren auch die vielen Füsse, die gemeinsam mit den Baumwurzlen eine definitive Loslösung vom Boden verhindern. In Bronze erstarrt hält Ursula Fehr den Drang des Menschen nach Befreiung fest. Da entwickelt sich ein Flügel des Ikarus zu einem reich verzweigten Geäst, Symbol der Verwurzelung in einer höheren Sphäre, und über langen Hälsen recken sich Kämpfer mit ausdrucksstarken Gesichtern. Der Traum des Menschen, fliegen zu können, und seine Sehnsucht, sich geistig vom Körper zu lösen, findet eine weitere Ausdrucksform in Ursula Fehrs "Traumkissen". Geflügelte Wesen und Gesichter zeichnen sich auf überdimensionierten Kissen ab, noch ganz der diesseitigen Welt verhaftet. Doch um sie herum lösen sich ihre Träume und Visionen in vielfältiger figurativer Gestalt aus den Fesseln der Körperlichkeit. Auf beinahe surrealistische Weise wird Unbewusstes sichtbar gemacht.
Das Leben zwischen Werden und Enden thematisieren, zwischen Freude und Trauer, zwischen Zwang und Befreiung - so lässt sich das Grundanliegen der Bildhauerin beschreiben. Ihr Werk ist narrativ. Es scheint, ihre Figuren erzählen Geschichten, wie Mythen und Legenden symbolhaft über Ereignisse aus der Geschichte, über Naturgewalten und Schicksale berichten. Doch weil Ursula Fehrs Medium nicht die Sprache ist, sondern die geformte Skulptur, bekommen wir ihre Geschichten nicht in epischer Breite vorgelegt, sondern als Konzentrate. Ihre Plastiken regen uns zum Lesen an und lassen uns auch Freiheit in der Interpretation.
Da sind beispielsweise eine ganze Reihe Befreiungsgeschichten, Mischwesen, meist Frau-Vogel-Gestalten, versuchen hier ihre Fesseln zu zerreissen und den engen Verliessen zu entfliehen. Ihre Flügel kann man als Sinnbild für die Befreiung der Seele lesen, für den Aufbruch in eine andere Dimension (das gilt ebenfalls für die zarten Wesen in der Serie "Traumkissen"). Auch bei den neusten Ikarus-Arbeiten finden wir das Motiv der geflügelten Frau, diesmal eingespannt zwischen ihren - effektiv bildmässig umgesetzten - Wurzeln und ihren Träumen. Nach dem eigentlichen Wesen der Figuren fragt die Künstlerin bei den "grünen Weibern", die mit verwirrend vielen Armen oder mehreren Köpfen oder vielen Brüsten ausgestattet sind.
Dass es meist Frauenfiguren sind, die nach Identitäten suchen, Sehnsüchte und Entwicklungsgelüste ausdrücken, ist für Ursula Fehr aus ihrer persönlichen Erfahrung heraus zwingend. Trotzdem, einige Gestalten tragen auch männliche Züge, sind androgyn, sind Mensch an sich.